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Speisewert der Pilze
In den verschiedenen Büchern finden sich
unterschiedliche Angaben zum Speisewert der Pilze. Das ist verwirrend, wird aber
verständlich, wenn man die vielen Stufen und Zwischenstufen zwischen giftigen,
unbekömmlichen und zum Essen empfohlenen Pilzarten aufschlüsselt. So gibt es
1. Arten mit bekannter, unangenehm bis sehr belastender oder gar
lebensbedrohlicher Giftwirkung
2. Arten mit teils erwünschter Giftwirkung (halluzinogene,
bewusstseinsverändernde Substanzen)
3. Arten, die roh giftig wirken jedoch gut gekocht bekömmlich sind
4. Arten die erst nach spezieller Vorbehandlung bekömmlich sind
5. Arten mit individuellen Unverträglichkeitsreaktionen
6. Pilzgifte und Symptome, die erst kürzlich entdeckt wurden
7. Arten, welche im Zusammenhang mit dem Genuss von Alkohol giftig wirken
8. Verdächtige Arten mit vermuteten giftigen Inhaltsstoffen
9. Arten, die je nach Standort Schwermetallbelastungen, Radioaktivität
oder Nikotingehalt aufweisen können
10. Arten die zwar ungiftig sind aber einfach mit Giftpilzen verwechselt werden könnten
11. Gewürzpilze, die nur in kleinen Mengen verträglich sind
12. Arten mit unbekanntem Speisewert
13. Arten mit schlechtem Geschmack oder beispielsweise zäher Konsistenz – ungeniessbare
Arten
14. Essbare, jedoch seltene und zu schonende Arten
15. geeignete, in mässigen Mengen problemlos geniessbare Arten
16. ........
Diese verschiedenen Gruppierungen werden nicht immer gleich behandelt. In einem
Teil der Literatur werden z.B. essbare, jedoch wegen ihrer Seltenheit zu
schonende Pilze als ungeniessbar bezeichnet, während sie in anderen Büchern als
Speisepilze erscheinen. Ebenso bei ungiftigen Arten, welche leicht mit
Giftpilzen verwechselt werden können oder bei nur roh giftigen Arten.
Widersprüchliche Angaben in der Literatur
Erstaunlicherweise finden sich aber selbst bei tödlich giftig taxierten Arten in
der Literatur unterschiedliche Angaben. Die folgenden Fälle erklären diesen
Umstand.
Im «Taschenbuch der Pilze» von W. Cleff aus dem Jahre 1909 steht: zum Beispiel
beim Kahlen Krempling (Paxillus involutus) «... und zählt mit zu den
wohlschmeckendsten und wertvollsten Pilzen.» Im bekannten «Handbuch für
Pilzfreunde» (Michael/Hennig), Bd.1, aus dem Jahre 1958 erscheint eine Warnung:
«essbar, aber roh genossen giftig», und im Text ist mit fetter Schrift angefügt:
«längeres Kochen (25 Min.) ist unbedingt erforderlich.» Bei F. M. Engel im Jahre
1965 heisst es wieder etwas weniger streng: «... ein schmackhafter Speisepilz,
wenn auch der Magen des einen oder anderen Pilzfreundes allergisch reagiert,
dann vor allem, wenn der Pilz roh oder unzureichend gekocht genossen wird.»
Heute wird vom Genuss dieses Pilzes dringend abgeraten, da sich herausgestellt
hat, dass die Art nicht nur roh giftig wirkt sondern auch bei genügend gekochten
Pilzen nach mehrmaligem Genuss eine Antigen-Antikörper-Reaktion zu tödlicher
Blutzersetzung führen kann. Trotzdem ist es bekannt, dass der Pilz in
verschiedenen Gebieten weiterhin verzehrt wird. Unter ähnlichem Verdacht steht
der Butterpilz (Suillus luteus), welcher in seltenen Fällen ebenfalls zu einer
solchen sogenannten Immunhämolyse führen soll.
Entdeckung neuer Giftpilze
Vor wenigen Jahren sind weitere Pilzarten zu den Giftpilzen gestossen, die
vorher als essbar galten. Beim Wohlriechenden Trichterling (Clitocybe amoenolens),
einer Pilzart, welche in Südeuropa vorkommt, wurde der gleiche Giftstoff
Acromelsäure nachgewiesen, welcher schon seit anfangs Jahrhundert aus der
japanischen Trichterlingsart Clitocybe acromelalga bekannt ist. Dieser Wirkstoff
kann nach ca. 1 – 7 Tagen Schwellungen und Schmerzen an Händen und Füssen sowie
neurologische Probleme verursachen.
In Frankreich, wo vor allem im Süden Exemplare der giftigen Clitocybe amoenolens
gefunden werden, wird inzwischen auch vom Genuss des ähnlichen aussehenden und
verbreiteten Fuchsigen Trichterlings, Lepista flaccida, abgeraten.
Im Jahre 2001 wurden Vergiftungserscheinungen bekannt, die durch den bisher als
essbar geltenden Grünling (Tricholma equestre) verursacht wurden. Der mehrfache,
kurz aufeinanderfolgende
Genuss dieser Pilze kann nach einem oder mehreren Tagen zu einer Rhabdomyolyse
führen, welche sich zuerst in Muskelschmerzen, Schwäche und Müdigkeit offenbart
und in schweren Fällen zum Tod führen kann.
Schliesslich wurden im Herbst 2004 aus Japan Vergiftungsfälle nach dem Konsum
von Ohrförmigen Seitlingen (Pleurocybella porrigens) gemeldet. Unter der
Bezeichnung Sugihiratake war diese Art in Japan seit Langem als Speisepilz
bekannt, während sie in der europäischen Literatur teils als Speisepilz, teils
als ungeniessbar betitelt wird. Nach dem Verzehr (teils bis drei Wochen später)
traten Störungen der Hirnfunktionen auf, welche sich in Form von Zittern,
Sprachstörungen sowie Muskelschwächen oder -krämpfen äusserten. Mehrere Personen
sollen in der Folge daran gestorben sein, während andere sich wieder ganz oder
teilweise erholten. Gehäuft und besonders problematisch traten die Folgen bei
Patienten auf, die bereits vorher an geschwächter Funktion der Nieren litten.
Nikotin in Speisepilzen
2008 wurden in Steinpilzen geringe Mengen Nikotin festgestellt, deren Ursache
bis jetzt nicht geklärt scheint. In Frage kommen nachträgliche Verunreinigungen
bei der Ernte, beim Transport, beim Trocknen oder bei der Verarbeitung. Denkbar
ist auch eine Aufnahme des Stoffes aus dem Kontakt mit benachbarten Organismen,
abhängig vom Standort. Schliesslich könnten gewisse Pilzarten das Nervengift auch
selber aufbauen. Von Nachtschattengewächsen wie Tomaten, Kartoffeln oder
Auberginen ist dies bekannt,
insbesondere natürlich von der Tabakpflanze, welche den Stoff in hohen Dosen
aufbaut.
Messungen in Deutschland und später auch in der Schweiz ergaben maximal knapp 9
mg Nikotin pro kg trockener Steinpilze. Auch trockene Morcheln erreichten Werte
bis gegen 5 mg/kg, während Zuchtpilze wie Shiitake, Austernseitlinge oder
Champignons viel tiefere Messwerte aufwiesen. Sie lagen stets unter 0.2mg/kg,
dennoch waren auch diese Arten nicht ganz frei von Nikotin. Gemäss
den Berichten der Fachleute ist es nicht einfach, eine vernünftige Grenze
festzulegen, wie hoch ein unbedenklicher Nikotingehalt von Pilzen oder
Nahrungsmitteln generell sein darf. Zum Vergleich: Beim Inhalieren einer
Zigarette wird Nikotin in der Grössenordnung von 1 mg aufgenommen.
Nikotin-Kaugummis und -Lutschtabletten enthalten zwischen 1 und 4 mg. Bei
Trockenpilzen geht man von einem Konsum von ca. 25 g pro Mahlzeit aus, bei den
maximal belasteten Proben entspricht das 0.25 mg Nikotin. Der Körper nimmt beim
Essen nicht die ganze Dosis aufs Mal auf
sondern über einen längeren Zeitraum. Das spielt ebenfalls eine Rolle, da
Nikotin im Körper relativ rasch wieder abgebaut wird (Eliminationshalbwertzeit
von Nikotin beim Menschen liegt bei etwa 2 Stunden, Hukkanen et al., 2005).
Der übliche Rückstandshöchstwert für Lebensmittel liegt in Deutschland bei
0.01mg/kg. Dieser Wert wird von den Pilzen bezüglich Nikotin regelmässig
überschritten. Inzwischen wurde von der Europäischen Behörde für
Lebensmittelsicherheit (EFSA) ein Maximalwert für Nikotin von 2,3 mg/ kg bei
Steinpilzen und von 1,2 mg/kg bei den übrigen Wildpilzen festgelegt. 2010 hat
auch die Schweiz diese Werte übernommen. |